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Wie kann man Lieferketten aus Polen aufbauen?

Für viele Unternehmen ist klar: Sie müssen ihre Lieferkettenstrategien neu definieren. Polen dürfte dabei eine Schlüsselrolle zukommen. Zu den Produktionsstätten in Deutschland ist es schließlich nur ein Katzensprung.

Wie kann man Lieferketten aus Polen aufbauen?

Hersteller haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten ihre Wertschöpfungsprozesse immer enger mit denen ihrer Lieferanten verzahnt.

Ursache dafür ist das Zusammenspiel mehrerer Entwicklungen, allen voran

  • die Globalisierung der Wirtschaft, also die Ausweitung der Beziehung im Handel, vor allem nach der Dekolonialisierung und dem Ende der Ost-West-Konfrontation;
  • die rasante Entwicklung der Informationstechnologie, die eine digitale Transformation der Wertschöpfungskette mit starken Effizienzsteigerungen ausgelöst hat; und
  • die steigende Produktindividualität bei immer kürzeren Produktzyklen.

Lieferketten sind durch diese Entwicklungen so komplex geworden, dass eine Störung der Wertschöpfungskette sich schnell zu einer existenzbedrohenden Krise für Lieferanten und Abnehmer entwickeln kann.

Das lässt sich vielleicht am deutlichsten an Lieferketten aus China und anderen ostasiatischen Ländern ablesen. Dass ein Vorfall wie die Havarie des Container-Schiffs „Ever Given“ am 23. März 2021 im Suezkanal zu globalen Engpässen und Krisen führt, macht die Anfälligkeit globaler Supply Chains besonders deutlich.

Doch wenn schon eine kleine Störung Lieferzeiten und Kosten in die Höhe schnellen lässt, müssen Unternehmen ihre Lieferkettenstrategie neu definieren. Eine solche Neudefinition muss meines Erachtens zwei Ziele im Blick haben:

  1. eine wesentliche Verkürzung der Supply Chain bzw. die Implementierung einer Nearshoring-Strategie; sowie
  2. eine weitgehende Flexibilisierung der Supply Chain, um einen Zusammenbruch bei Störungen zu vermeiden.

Beide Ziele sollten dabei so realisiert werden, dass die Supply Chain-Effizienz steigt, die Abhängigkeit von einzelnen Zulieferern und Herstellern von Vorprodukten dagegen sinkt.

Polen ist einer der attraktivsten Sourcing-Standorte in der EU

Im Lichte der beiden genannten Ziele ist das Nachbarland Polen für deutsche Unternehmen als Sourcing-Standort besonders attraktiv.

  1. Polen hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten seine Produktionskapazitäten deutlich ausgebaut. (Belege dafür finden Sie hier, hier und hier.) Das macht einen direkten Bezug von Teilen und Produkten aus Polen möglich und wegen der geografischen Nähe zu deutschen Produktionsstätten auch eine erhebliche Verkürzung der Lieferketten und Verbesserung der Versorgungssicherheit.
  2. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, die im Ausland und sogar in Ostasien hergestellten Vorprodukte oder Investitionsgüter in Polen einzulagern, zu kommissionieren und dann Just-in-Time aus den polnischen Lägern anzufordern. Der Aufbau von Lieferketten aus Polen ermöglicht also nicht nur den Bezug von Bauteilen und Vorrodukten, die originär aus Polen stammen, sondern führt auch zu einer spürbaren Erhöhung der Lieferflexibilität.

Deshalb erstaunt es nicht, dass Polen sich in den letzten Jahren durch den starken Ausbau sowohl von Produktions- als auch von logistischen Kapazitäten zu einem der wichtigsten Standorte für Zulieferer in der EU entwickelt hat. So setzt z.B. die Automobilindustrie (mit Ausnahme der Chips) bereits zu 80 Prozent auf regionale und/ oder europäische Lieferketten, wobei Polen den 2. Platz einnimmt. (Belege dazu finden Sie hier und hier.)

Natürlich sind dabei die verhältnismäßig hohen Produktions- und Arbeitskosten des EU-Mitglieds Polen zu berücksichtigen. Aber in Zeiten, in denen die Verfügbarkeit von Materialien, Bauteilen und Vorprodukten und ihre Lieferflexibilität oft mehr Gewicht hat als deren Stückkostenpreis, dürften diese Kosten nicht von vornherein ein Ausschlusskriterium sein.

Doch trotz der geografischen Nähe ist es für deutsche Unternehmen nicht immer einfach, im Nachbarland Polen als neuen oder zusätzlichen Beschaffungsmarkt zu erschließen. Um Fehler zu vermeiden, würde ich folgendermaßen vorgehen:

1. Vor- und Nachteile abwägen

Auch wenn vieles für eine Ausrichtung Ihrer Lieferkette nach Polen spricht: Die Vor- und Nachteile einer Erschließung von Polen als Beschaffungsmarkt sollten Sie gründlich abwägen.

Die meisten wurden oben bereits genannt:

Ein Nachteil sind vor allem die höheren Stückkosten.

Dem stehen die Qualität, der Grad der Komplexität und die schnelle und/ oder flexible Verfügbarkeit von Produkten und Vorprodukten gegenüber.

In Anbetracht dessen lohnt sich die Zusammenarbeit mit polnischen Handelspartnern in Branchen wie dem Maschinenbau oder der Automobilindustrie, vor allem aber auch bei diesen Produkten:

  • Baustoffe,
  • Holzerzeugnisse,
  • Fenster und Türen,
  • Papier und Druckerzeugnisse,
  • Kunststoffe und Verpackungen sowie
  • landwirtschaftliche Produkte wie Obst und Gemüse, Milchprodukte sowie Fleisch und Geflügel, alles übrigens auch in Bio-Qualität.

2. Das klassische JIT-Modell überdenken und anpassen

Der Aufbau von Lieferketten nach Polen wird sich auch auf die klassische Just-in-Time-Lieferkette auswirken (müssen).

Hat diese ausgedient? Die Antwort ist ein klares „Jain“. Just-in-Time bleibt die Regel, aber sie wird auf regulär belieferte, regionalen Beschaffungslager beschränkt.

Denn verzögerte Lieferungen und Lieferengpässe erfordern, das klassischen JIT-Modell zu überdenken, es abzuwandeln und eine Kooperation mit den Lieferanten und übrigen grenznahen Akteuren, vor allem mit den Logistik-Dienstleistern bei berechenbaren Kostenmodellen einzugehen. Denn es ist zu bedenken, dass bei der Optimierung von Lieferketten, die Transport- und Lagerkosten die größten Kostenblöcke darstellen.

Fazit

Was Polen besonders macht, ist die Möglichkeit, neben Bauteilen und Produkten zu beschaffen, die originär von polnischen Herstellern stammen, die Möglichkeit, anderswo produzierte Teile und Anlagen in Polen einzulagern und zu kommissionieren, um sie dann Just-in-Time aus den polnischen Lägern anzufordern.

3. Ein nachhaltiges Zuliefernetzwerk aufbauen

Der Aufbau eines Zuliefernetzwerkes sollte auf jeden Fall nachhaltig sein. „Nachhaltigkeit“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf zweierlei, nämlich auf

  1. die Kürze der Transportwege (ökologische Nachhaltigkeit) und
  2. die Belastbarkeit des Lieferantennetzwerk (Dauerhaftigkeit).

Entscheidend ist dabei, Unternehmen mit der Perspektive einer langfristigen Win-Win-Situation, ggf. mit neuen Modellen der Zusammenarbeit, zu überzeugen, Teil der Lieferkette zu werden.

Denn das Netzwerk wird im zweiten Sinne nachhaltig sein, wenn man auf

  • eine faire Aufteilung der Kosten- und Finanzierungslasten bzw. -risiken und
  • eine faire Verteilung von Wertschöpfungsanteile

achtet.

4. Lieferungen strategisch optimieren

Wichtig wäre zudem die strategische Optimierung von Lieferungen aus China und Ostasien via Polen.

Das bedeutete im Wesentlichen den Aufbau einer multimodalen Logistik, die nicht nur den Seeweg nutzt, sondern auch die Lieferung per Bahn. Ein positiver Nebeneffekt dessen wäre übrigens der beschleunigte Warenaustausch: Der Gütertransport per Bahn verkürzt die Lieferzeiten gegenüber dem Seeweg um zwei bis vier Wochen.

Eine solche Optimierung von Lieferungen würde Polens Direktzugang zu Eisenbahnlinien der sog. Neuen Seidenstraße aus China ermöglichen:

  • im Süden über die Ukraine, mit der Breitspur direkt nach Schlesien
  • in Zentralpolen über Belarus mit modernen Containerverladeanlagen und Lagerkapazitäten
  • im Norden über Kaliningrad-Enklave bis zu den Häfen Danzig/Gdingen.

Allerdings hat der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 diesen Zugang zur Neuen Seidenstraßen für die nächsten Monate und wohl auch Jahre verschlossen. Doch an der strategischen Überlegung ändert das nichts. Sollten die massive humanitäre und ökonomische Krise einmal überwunden sein, dürfte diese strategische Option sich wieder eröffnen.

5. Den Lieferkettensorgfaltspflichten nachkommen

Auch beim Aufbau von Lieferketten nach Polen kommt niemand mehr um die Erfüllung seiner Lieferkettensorgfaltspflichten umhin.
Denn das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das zum 01. Januar 2023 in Kraft tritt, verpflichtet in Deutschland ansässige Unternehmen dazu, die „menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten“ zu beachten.

Demnach haben Unternehmen mit mindestens 3.000 inländischen Arbeitnehmern – ab dem 01. Januar 2024 auch solche mit 1.000 – Compliance-Regeln zu erstellen, die die in §§ 3 bis 10 festgesetzten Sorgfaltspflichten umsetzen.

Fazit

Für Produktionsunternehmen aus Deutschland hat der Aufbau von Lieferketten aus Polen folgende Vorteile:

  • moderate Löhne und Lagerkosten
  • direkte Grenznähe und stets wachsende Straßen- und Bahn-Infrastruktur
  • die europaweit größte LKW-Flotte zu wettbewerbsfähigen Preisen
  • stark ausgebaute und verkehrstechnisch günstig gelegene Logistikzentren mit optimaler Einrichtung, insbesondere an den Ausfallautobahnen A2 und A4 Richtung Deutschland
  • die Möglichkeit einer Vorfertigung aus Elementen aus China und der in Polen Hergestellten, ihre Kommissionierung und anschließende kostengünstige Einlagerung bis zum Abruf in polnischen Logistikzentren
  • flexible und für Abnehmer planbare Liefertermine