
Versorgungssicherheit in Lieferketten schaffen

Störungen in der Lieferkette sind für jedes Unternehmen schmerzhaft, mitunter sogar bedrohlich. Dennoch stehen Projekte zur Versorgungssicherheit viel zu selten oben auf der Agenda. In diesem Beitrag beschreibt ein international erfahrener Supply-Chain-Experte, wie Sie Ihre Lieferkette weniger krisenanfällig gestalten und durch geschickte Einkaufsstrategien die Kosten deutlich senken.
Supply Chain Management ist in Sachen Versorgungssicherheit oft nicht gut aufgestellt
Gerade in Krisenzeiten wird fehlende Versorgungssicherheit besonders wahrnehmbar. Häufig wird die Situation sogar sehr schmerzlich. Das gilt beispielsweise beim Ausfall eines wichtigen Lieferanten oder bei einem Stillstand in der Lieferkette. Kurzfristige Alternativ-Beschaffungen sind häufig nicht möglich. Und falls doch, ist dies in der Regel sehr kostspielig. Mitunter ergeben sich aus der Versorgungsunsicherheit äußerst kritische und möglicherweise sogar existenzbedrohliche Folgeeffekte für das ganze Unternehmen.
Angesichts der existenziellen Bedeutung der Versorgungssicherheit sollte man annehmen, dass der Einkauf und die kooperierenden Bereiche bestmöglich aufgestellt sind. Und doch ist das häufig nicht der Fall. In meinen Mandaten erlebe ich immer wieder, dass noch nicht einmal die personellen Ressourcen für einen nachhaltigen, mitdenkenden und proaktiven Einkauf vorhanden sind, geschweige denn strategische und ergebnisorientierte Projekte zur Versorgungssicherheit. Und wenn es Modernisierungsprojekte, wie etwa im Bereich Digitalisierung, gibt, sind die Mitarbeiter neben dem operativen Geschäft oftmals mit der Projektarbeit bereits überdurchschnittlich hoch ausgelastet.
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Lieferketten stabilisieren: Die fünf wichtigsten Aspekte zur besseren Versorgungssicherheit
Die grundlegende Empfehlung für Projekte zur Verbesserung der Versorgungssicherheit lautet also: Schaffen Sie die personellen Voraussetzungen dafür, dass sich ein Team professionell um Ihre Supply Chain kümmert – und idealerweise für die Projektdauer nur darum. Darüber hinaus möchte ich Ihr Augenmerk auf die folgenden fünf Aspekte lenken.
Meiner Erfahrung nach ist es überaus wichtig, dass Unternehmen die Abhängigkeiten von Lieferanten und die damit verbundenen Versorgungsrisiken möglichst früh in den Fokus stellen. Das vermeidet Überraschungen und erlaubt ein geordnetes Vorgehen. Dabei sollten die folgenden fünf Kernthemen im Vordergrund stehen:
- Single-Source-Risiken bei Ausfällen von Lieferanten erkennen und bewerten
- Preisabhängigkeiten in Lieferantenbeziehungen aufdecken
- Technische Abhängigkeiten bei langjährigen Lieferantenbeziehungen erkennen
- Tatsächlich geeignete Lieferanten durch Anfrage-Screening identifizieren
- Das Onboarding: Nicht die Katze im Sack kaufen
Im Folgenden mehr zu diesen Aspekten.
Single-Source-Risiken bei Ausfällen von Lieferanten erkennen und bewerten
Das Versorgungsrisiko bei Single-Source-Lieferantenbeziehungen wird regelmäßig unterschätzt. Die Insolvenz eines exklusiven Vormaterial- oder Komponenten-Herstellers kann zu enormen Problemen führen, da die Supply Chain – und damit die Produktionsprozesse – enorm gestört werden können. Eigene Liefertermine drohen sich zu verzögern und führen im schlimmsten Fall durch hohe Strafzahlungen zu einer Ergebniskrise. Die Suche nach Alternativlieferanten in einer solchen Situation erweist sich aufgrund der zeitlichen Dringlichkeit in der Regel als sehr schwierig.
Um die Versorgungssicherheit zu verbessern und Single-Source-Risiken zumindest einigermaßen einzugrenzen, empfehle ich:
- Jährliche Audits bei den Lieferanten, durch die Sie – quasi mit einem Blick in die Werkshallen – frühzeitig Hinweise auf sich abzeichnende Probleme bei Ihren Lieferanten erhalten.
- Bilanzen und Bonität der Lieferanten regelmäßig prüfen (lassen): Das vermittelt Ihnen einen belastbaren Eindruck von der wirtschaftlichen Kraft Ihres Partners.
- Zeichnungen und Fertigungsrechte sichern: Damit ersparen Sie sich für den Fall der Fälle komplexe Aufwände für die Instruktion neuer Lieferanten.
- Alternative Lieferanten identifizieren: Es ist immer ratsam, in jeder Lieferantenbeziehung eine Fall-Back-Lösung zu haben. Unter bestimmten Umständen kann es sogar lohnen, sich Kapazitäten durch eine Kaution zu sichern.
Lieferkettenoptimierung: Preisabhängigkeiten in Lieferanten-Beziehungen aufdecken
Beschaffungsanalysen zeigen meiner Erfahrung nach immer wieder auf, dass wichtige Artikel(gruppen) über Jahre hinweg nur von einem Lieferanten bezogen werden. Die Jahresverhandlungen mit diesen Lieferanten beschränken sich dann häufig auf die Abwehr von Preiserhöhungen. Vergleichsangebote gibt es ja nicht.
Ich rate deshalb dringend dazu, regelmäßig Alternativangebote einzuholen – auch, wenn Sie gar nicht mit Ihrem Lieferanten brechen wollen. Meiner Erfahrung nach führt allein das Vortragen von besseren Angeboten dazu, dass bestehende Lieferanten Preiszugeständnisse von bis zu 20 Prozent machen. Vor dem Hintergrund einer Partnerschaft von Auftraggeber und Lieferanten lässt sich das natürlich nicht jedes Jahr wiederholen. Sie sollten immer im Auge behalten, dass zuverlässige und flexible Lieferanten ein wertvoller Bestandteil jeder Supply Chain sind.
Zur Bewertung sind Analysen aller Bestellpositionen mindestens der letzten drei Jahre erforderlich. Um bei einem späteren Sourcing gezielter ausschreiben zu können, sollten Sie innerhalb der Warengruppen genaue Artikelgruppen definieren und deren Beschaffungsvolumina zuordnen.
Technische Abhängigkeiten bei langjährigen Lieferantenbeziehungen erkennen
Zugegeben: Es ist meistens sehr bequem und mitunter auch ebenso eingespielt, (regional ansässige) Firmen als alleinige Lieferanten über Jahre hinweg zu beauftragten. Man kennt sich. Die Qualität ist in Ordnung. Der Lieferant weiß, was er zu liefern hat: quasi auf Zuruf. Gerade bei den oft recht komplexen Zeichnungsteilen ist das eine enorme Arbeitserleichterung.
Gleichzeitig ist diese Haltung nicht im Sinn der Versorgungssicherheit. Warum? Derart eingespielte Lieferketten bergen das Risiko, technische Abhängigkeiten in der Lieferantenbeziehung zu übersehen. Beispielsweise habe ich es in meinen Mandaten immer wieder erlebt, dass der Auftraggeber weder über detaillierte Zeichnungen wichtiger Produkte verfügte, geschweige denn über eine vollständige Dokumentation.
Die Motivation, in dieser Situation Warengruppen über globale Neuausschreibungen zu benchmarken, neue Lieferanten zu qualifizieren, zu auditieren und anzulegen, hält sich in Grenzen. Der Einkauf argumentiert häufig mit nicht vorhandenen Ressourcen, Qualitäts- und Versorgungsrisiken. Die Konstruktion scheut den Aufwand zur „Vervollständigung“ von technischen Zeichnungen. Die Qualitätssicherung sieht einen erhöhten Prüfaufwand im Wareneingang für nicht darstellbar.
Mein Rat: Lassen Sie sich von diesen internen Argumenten (oder sind es Vorwände?) nicht abschrecken. Meiner Erfahrung nach sind viele internationale Ausschreibungen sehr gut geeignet, Einsparpotenziale von 15 bis sogar 30 Prozent zu realisieren. Gleichzeitig dienen Ausschreibungen dazu, für den Fall der Fälle eine Auswahl geeigneter Ersatzlieferanten zu schaffen – ganz im Sinn der verbesserten Versorgungssicherheit.
Versorgungssicherheit stärken: Gute Lieferanten durch Anfrage-Screening identifizieren
In den einschlägigen Ausschreibungsplattformen tummeln sich in der Regel Hunderte mögliche Lieferanten, die zuweilen mehr versprechen, als sie zu halten in der Lage sind. Wie trennen Sie hier die Spreu vom Weizen? Ich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, fünf bis zehn „repräsentative“ Zeichnungsteile gleichzeitig auszuschreiben. Um den Aufwand in dieser Sourcing-Phase begrenzt zu halten, genügt dabei im ersten Schritt der Versand einer Anfrage-Matrix mit allgemeinen Angaben zu Material, Bearbeitungsschritten, Abmessungen und Jahresbedarf, ergänzt durch eine 3-D-Skizze oder ein Foto der ausgewählten Teile. Anhand der Rückmeldung und der Kommunikation mit den Interessierten können Sie die Zahl der geeigneten Lieferanten eingrenzen. Die detaillierte Angebotsaufforderung (RFQ) versenden Sie erst im nächsten Schritt.
Der folgende Hinweis mag überflüssig erscheinen (ist es aber meiner Erfahrung nach nicht): Den RFQ verschicken Sie bitte erst, wenn der Kandidat das Non-Disclosure agreement (NDA) unterzeichnet hat. Anschließend können Sie neben den technischen Daten auch CAD-fähige Zeichnungen, Stücklisten und die Anforderungen bezüglich der Losgrößen versenden.
Logistik-, Transport- und Zollkosten nicht vergessen
Für den Komplettvergleich der Angebote von internationalen Lieferanten fehlen häufig die Kosten für Logistik, Transport und Zoll. Trotz der Angabe der Incoterms DDP (frei Haus) im RFQ, kommt es erfahrungsgemäß immer wieder zu Angebotspreisen EXW (ab Werk) oder FOB (frei an Bord). Der Versuch, die fehlenden Kosten vom Lieferanten einzufordern, ist in dieser Phase der Vorauswahl in den seltensten Fällen erfolgreich oder mit erheblichem Kommunikationsaufwand verbunden. Von daher setze ich für eine erste Näherung Package-Richtwerte der Speditionen in Abhängigkeit von Herkunftsland, Losgewicht und Losvolumen an. Hierzu sind – auf Basis dieser Packages für Container oder Paletten – bereits vorab im RFQ entsprechende optimale Losgrößen in Abhängigkeit von Gewicht und Volumen der einzelnen Artikel zu definieren.
Das Onboarding neuer Lieferanten: nicht die Katze im Sack kaufen
Sind die offenen (technischen) Fragen der ausgewählten Best-Price-Lieferanten geklärt und die ersten Preisverhandlungen geführt, gilt es, die Angaben und versprochenen Leistungen zu überprüfen, um keine Überraschungen zu erleben. Auch wenn es sich um die bekannten Schritte beim Onboarden eines Lieferanten handelt, möchte ich doch noch einmal dringend auf die wichtigsten Maßnahmen hinweisen:
- Bonitätsprüfungen vornehmen: Die Bonitätsprüfung ist auch im Lieferantenverhältnis wichtig, um Anzahlungen, halb fertige Erzeugnisse oder Gewährleistungsrisiken frühzeitig absichern zu können.
- Bilanzen der letzten Jahre analysieren: Damit erhalten Sie einen Eindruck von der betriebswirtschaftlichen Entwicklung des Lieferanten, aber auch Ihres eigenen potenziellen Umsatzanteils und damit Ihrer Bedeutung als Kunde.
- Kundenreferenzen des Lieferanten einholen: Gerade bei internationalen Lieferanten gibt der Nachweis bezüglich namhafter, insbesondere deutscher Kunden-Unternehmen wichtige Hinweise zur Zuverlässigkeit des Lieferanten. Es ist außerdem davon auszugehen, dass bei diesen Unternehmen bereits umfangreiche Qualitäts- und Versorgungsprüfungen stattgefunden haben. Deren Ergebnisse können den Aufwand bei der eigenen Qualifizierung reduzieren.
- Testbestellungen vermitteln einen ersten Eindruck der Liefertreue, Qualität der gelieferten Artikel und Zuverlässigkeit in der Kommunikation mit dem Lieferanten.
- Vor-Ort-Audits: Gerade bei neuen internationalen Lieferanten sind Audits mit einem relativ hohen Reise- und Personal-Aufwand verbunden. Ich empfehle, alternativ die Prüfung durch – im Lieferantenland regional ansässige – Dienstleister zu beauftragen, die häufig als Dependancen deutscher oder internationaler Auditierungs-Unternehmen anzutreffen sind.
- Risikoorientierte Lieferverträge abschließen: Auf diese Weise sichern Sie sich ab und verteilen das Risiko fair auf alle Schultern.
Interne Optimierung oder externe Beratung zur Versorgungssicherheit?
Ob Sie sich für eine interne Optimierung Ihrer Lieferketten entscheiden oder die Versorgungssicherheit durch externe Beratung verbessern, spielt – die entsprechenden Kompetenzen vorausgesetzt – keine Rolle. Wichtig ist nur, dass Sie die Versorgungssicherheit als wesentlichen Bestandteil des Tagesgeschäfts in den Fokus nehmen. Jede aktuelle Krise wird gewiss nicht die letzte unerwartete Herausforderung für die Stabilität Ihrer Versorgungssicherheit und die Kosten in der Supply Chain sein.
Sie suchen Expertise im Supply Chain Management?
Ob Krise, Zollstreit oder Wetterkapriolen: Supply Chains sind von Natur aus anfällig für Störfaktoren. Die Interim Expertinnen und Experten der Deutschen Interim AG für Supply Chain Management sind durch zahlreiche Projekteinsätze bestens dafür gerüstet, Sie schnell und effektiv bei der Optimierung von Lieferketten zu unterstützen.
Über den Autor:
Der Interim Manager und Consultant ist ein erfahrener Experte für die Optimierung von Prozessen und Lieferketten. Dabei setzt er schon seit vielen Jahren auf digitale Lösungen. Der Interim Manager ist seit 2004 Mitglied der Dachgesellschaft Deutsches Interim Management e.V. (DDIM) – und war zwischenzeitlich auch im Vorstand der DDIM.