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EXPERTENBERATUNG

Wie lässt sich eine Einkaufsorganisation transformieren?

Der Einkauf steht derzeit vor vielen Herausforderungen. Um auch künftig einen Mehrwert zu erzeugen, muss er sich wandeln – auf vielen Feldern zugleich. Wie das gelingt, erklärt unsere Procurement-Spezialistin.

Expertin für wertorientierte Beschaffung und Digitalisierung

Expertin für wertorientierte Beschaffung und Digitalisierung

  • Aufbau und Neuausrichtung von Einkaufsorganisationen
  • Nachhaltige Beschaffung entsprechend LkSG und CRSD
  • E-Procurement: Auswahl und Einführung von digitalen Einkaufstools

Lassen Sie uns überlegen, welche Trends derzeit auf die Procurement-Organisation einwirken:

  • B2B wird zu B2C: Endnutzer erwarten eine Umgebung, die ihrem privaten Umfeld ähnelt, mit einem Fokus auf Funktionalität, einfach zu nutzenden Tools und übersichtlichen Arbeitsabläufen.
  • Die digitale Transformation des Einkaufs: Es gibt einen kaum noch überblickbaren Markt an Tools. Beobachter gehen schätzungsweise von mehr als 1.000 Procure- and Supply-Techs aus, mit etablierten und neuen Playern.
  • Die Welt der KI explodiert: Maschinelles Lernen verändert die Data Analytics und das Einkaufs-Controlling von Grund auf und verbessert strategische Einkaufsentscheidungen.
  • Neue Einkaufsthemen: An die Stelle des Kaufs von Investitionsgütern treten Pay-per-Use-Modelle.
  • Nachhaltigkeit: ESG-Reporting wird zur Pflicht.
  • Versorgungssicherheit: Die Lieferkettenprobleme und Energiekrise rücken den Fokus wieder stärker auf die Versorgungssicherheit.

Der Einkauf muss darauf reagieren und sich wandeln. Doch wie?
Hier die meiner Erfahrung nach sechs wichtigsten Maßnahmen:

1. Nehmen Sie die geänderten Spielregeln an.

Die aktuellen geopolitischen Herausforderungen – denken Sie etwa an die Spannungen im indo-pazifischen Raum – erfordern ein neues Mindset. Ich meine eine Mentalität, die Flexibilität, Resilienz und strategische Weitsicht zusammenführt und sich zugleich von den Paradigmen der letzten Jahrzehnte wie Just-in-Time oder Jahresplanungen verabschiedet.

Im Vordergrund sollte bei all dem das „Decoupling“, die Diversifizierung von Lieferketten, stehen:

  • Kommunizieren Sie transparent, wo Sie stehen, welche Unsicherheiten bestehen und welche Entscheidungen Sie vor dem Hintergrund externer Faktoren revidieren müssen.
  • Sie kennen Ihre Belastungsgrenzen, handeln zuversichtlich und entschlossen in turbulenten Zeiten und wissen, wie Sie Ihre und die Energiereserven Ihres Teams auffüllen können.
  • Überlegen Sie, welche Lieferanten wirkliche Partner sind.

2. Treffen Sie eine bewusste Entscheidung für Ihre Digitalisierungsstrategie.

Eines oder mehrere ERP-Systeme (in der Regel SAP) bilden üblicherweise das Rückgrat der Unternehmen. Aber diese helfen eher wenig in Bezug auf die Themen strategischer Einkauf, Lieferantenmanagement, Einkaufs-Controlling, Vertragsmanagement, Risikomanagement und Nachhaltigkeit. Um diese zu bewältigen, ist stattdessen eine durchdachte Digitalisierungsstrategie nötig. Grundsätzlich haben Sie hier vier Optionen:

  1. Ein-Provider-Strategie: Alle Werkzeuge kommen vom Backend-Provider.
  2. Plattform-Strategie: der Einsatz einer Einkaufsplattform, die möglichst viele strategische Fragestellungen abdeckt.
  3. Experten-Strategie: eine Auswahl von Best-of-Breed-Systemen.
  4. Schnellboot-Strategie: Sie arbeiten mit spezialisierten Anbietern und Start-ups.

Häufig trifft die IT die System-Entscheidungen allein. Aber sollte der Einkauf nicht im Driver Seat für seine Tools sein und die Digitalisierungsstrategie zusammen mit der IT definieren? Angesichts der geänderten Spielregeln kann man Systeme nicht mehr über Jahre hinweg einführen. Entsprechend geht der Trend zu unternehmensspezifisch gestalteten Öko-Systemen, die schnell Nutzen stiften. Möglich wird das durch die inzwischen große Zahl von Anbietern – von Start-ups bis hin zu etablierten KMUs – deren Tools sich nach dem Peer-to-Peer-Prinzip (P2P) über Standardschnittstellen verbinden lassen.

Dabei ist es meiner Erfahrung nach weniger wichtig, alle zu screenen. Besser ist es, ein Tool schnell einzuführen, sobald man es als hilfreich erkannt hat.

3. Finden Sie Tools, die zu Ihren Herausforderungen und Ihrer Kultur passen.

Es geht weniger um technologische Lösungen, die dem neuesten Hype entsprechen. „Follow the Flow“ ist einfach, aber nicht immer die beste Lösung. Denn jede Unternehmung ist anders. Stattdessen würde ich bei der Auswahl der Tools von User-Storys ausgehen, die wie die Personas im Marketing funktionieren. Solche Storys können Anforderungen besser abbilden als die herkömmlichen Kriterienlisten.

Zudem zwingen User-Storys die Anbieter, von vornherein konkrete Use Cases in ihren Tools abzubilden. Die mehr oder minder informativen Präsentationen, die die jeweiligen Tools vorstellen, können Sie dann gleich überspringen.

Und wenn Sie sich einmal für ein Tool entschieden haben: Sollte es Funktionen haben, die über Ihre ursprünglichen Anforderungen hinausgehen, dann zögern Sie nicht, Ihre Prozesse entsprechend anzupassen.

4. Überlegen Sie sorgfältig, wie Sie Ihre Systeme am besten implementieren.

… damit die Einführung neuer Systeme nicht zu einer eigenen Herausforderung wird, die die eigentlichen Ziele überlagert und verdeckt. Es gibt Großprojekte wie die Implementierung eines S4/HANA-Systems, die man weiter ganz klassisch top-down steuert. Doch viele andere Tools lassen sich agil einführen:

  • Nutzen Sie bei der Einführung die Chance, Ihre Prozesse zu optimieren. Mit Verfahren wie dem Business Process Mapping und Business Process Mining lassen sich gewachsene Prozesse in eine neue Umgebung bringen – aber eben nicht nur. Sie sind außerdem eine Gelegenheit, Prozesse schlanker zu gestalten und zugleich die Datenqualität zu verbessern.
  • Sehen Sie einen Teil des Budgets für das Transition Management vor. Berücksichtigen Sie zur Gestaltung der Transformation auch alternative Projektleitungsformen wie ein Team aus fachlichem Projektleiter und einem Transition Manager.

5. Überlegen Sie genau, welche Mitarbeitende Sie zukünftig benötigen.

Neue Aufgaben für den Einkauf und dessen Digitalisierung erfordern neue Rollen, etwa Datenanalysten und Social Media Buyer. Doch der Markt gibt nicht genug Spezialisten her. Was also ist zu tun? Die folgenden Fragen zeigen mögliche Lösungen auf:

  • Müssen alle Mitarbeitenden genau diese Qualifikation haben?
  • Was lässt sich automatisieren?
  • Gibt es geeignete Mitarbeitende in den Fachbereichen oder bei Lieferanten?
  • Wie lassen sich die Kooperation mit Fachhochschulen auf- oder ausbauen?

In der Praxis hat sich zudem bewährt:

  • Tandems aus Business- und Einkaufs-Know-how: Ein Marketing Manager tritt als Business Partner auf, das Team besteht aus strategischen Einkäufern.
  • Tandems aus Müttern und erfahrenen Arbeitskräften, die älter als 55 Jahre sind und in Teilzeit arbeiten.

Im Allgemeinen sollte man das Workforce Management ganzheitlich angehen im Sinne einer Steigerung des Humankapitals aus internen und externen Kräften. Dazu gehören auch gute Arbeitsbedingungen, die die Retention-Rate steigern.

6. Gehen Sie das Thema Nachhaltigkeit unternehmensweit an, vorzugweise in Industrieverbünden.

Die ESG-Berichterstattung ist seit 1. Januar 2025 Pflicht, wenn zwei der drei folgenden Kriterien auf Ihr Unternehmen zutreffen:

  • 250 Mitarbeitende und mehr
  • eine Bilanzsumme von mindestens 20 Millionen Euro
  • mehr als 40 Millionen Euro Umsatzerlöse

In Gesprächen darüber gewinne ich oft den Eindruck, dass Unternehmen die ESG-Berichterstattung primär als Reporting-Aufgabe sehen. Aber:

  1. Ist das nicht zu kurz gedacht? Der Verbraucher-Fokus wird sich schließlich ändern und schon jetzt gibt es Banken, die ganz auf Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit setzen.
  2. Und ist das nicht eine Chance, im Verbund mit Industriepartnern die eigenen Lieferketten ökologischer, nachhaltiger und sozialer – also zukunftssicher – zu gestalten?

Viele Tools helfen, die dafür nötigen Daten bereitzustellen. Sicher ist jedenfalls: Solche Anpassungenführen dazu, dass man nicht mehr klassisch zwischen dem Einkauf und den Lieferanten unterscheidet, sondern in Industrieverbünden – etwa der Chemischen Industrie – gemeinsam neue Antworten findet.

Fazit: Unterschiedliche Herausforderungen brauchen unterschiedliche Lösungen

Einkaufsorganisationen müssen sich wandeln, um in sich rasant verändernden Umfeldern weiterhin Mehrwert zu produzieren. Eine einzige Strategie, die überall passen würde, kann es nicht geben: Zu unterschiedlich sind die Probleme, vor denen Einkaufsorganisationen jeweils stehen. Aber allen Herausforderungen ist gemeinsam, dass sie eine Gelegenheit sind, die Organisation zu verbessern.

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