Viele Organisationen und Unternehmen lassen Ideen und Patente lieber in der Schublade verschwinden, als sie zu Produkten weiterzuentwickeln. Oftmals, weil sie befürchten, ein Produkt ins Portfolio aufzunehmen, das nicht so recht ins Kerngeschäft passen würde. Doch wäre es nicht besser, sich stattdessen ein Geschäftsmodell inklusive Plattform für das Produkt zu überlegen, um damit Geld zu verdienen, ohne dem Kerngeschäft in die Quere zu kommen?
Bei der Entwicklung eines solchen Konzepts sind allerdings gleich mehrere Faktoren zu berücksichtigen, vor allem
- die Wiege der Innovation (Hochschule, Forschung- und Entwicklungsabteilung eines Unternehmens oder beides?),
- die Form der Monetarisierung (Startup, Spin-off oder Business Unit?),
- der berufliche Hintergrund der Verantwortlichen (Wissenschaftler, Unternehmer oder beides?) und
- der Kompetenzen-Mix der Mitarbeitenden (Sind alle nötigen Kompetenzen bereits vertreten?).
Je nach Situation werden einzelne Faktoren mehr ins Gewicht fallen, andere zurücktreten. Einen Königsweg zur Monetarisierung von Forschungsergebnissen gibt es jedenfalls nicht. Außerdem muss man vor der Umsetzung einer Strategie zur Kommerzialisierung erst einmal tief Luft holen. Denn bis zur Marktreife und zum Launch braucht es einen langen Atem: Mindestens zwei Jahre muss man schon einplanen, je nach Branche und Produkt auch deutlich länger.
Den Weg von der Idee zum Launch sollte man also im Detail und gründlich planen.
Ich würde dabei folgendermaßen vorgehen:
1. Bewerten Sie die Marktchancen Ihrer Erfindung.
Als erstes sollten Sie versuchen, nüchtern und ehrlich einzuschätzen, ob Ihre Erfindung auf dem Markt eine Chance hätte. Ihre Erfindung ist natürlich ingenieurs- oder naturwissenschaftlich interessant. Doch das allein macht sie nicht schon zu einer Kandidatin für ein kommerziell aussichtsreiches Produkt. Dazu wird sie erst, wenn sie außerdem diese drei Merkmale aufweist:
- Patente schützen Ihre Erfindung vor einer Verwertung durch Dritte.
- Sie haben Ihre Idee schon so weit entwickelt, dass sie zu einem Produkt konkretisiert werden könnte.
- Das Produkt würde ein echtes und weitverbreitetes Bedürfnis befriedigen.
Nur, wenn Ihre Erfindung diese drei Merkmale hat, sollten Sie die Monetarisierung weitertreiben. Alles andere wäre eine Verschwendung von Zeit und Geld.
2. Stellen Sie die für eine Umsetzung nötigen Mittel sicher.
Dass die meisten Projekte an einer schlechten Geschäftsidee scheiterten, ist ein Mythos. Im Gegenteil: Entscheidend ist die Umsetzung. Ideas are easy, execution is everything. Die Umsetzung einer Geschäftsidee setzt nicht nur operatives Know-how voraus. Mindestens ebenso wichtig sind die zur Umsetzung des Technologietransfers nötigen Mittel, nämlich Kapital und kompetente Menschen.
Stellen Sie also sicher, dass Sie Zugang zum nötigen Kapital hätten. Was „nötig“ heißt, richtet sich dabei nach dem, was Sie verkaufen wollen. Produktion ist kapitalintensiver als eine Dienstleistung. Und stellen Sie sicher, dass Sie ein Team mit Menschen zusammenstellen könnten, die erstens kompetent sind und sich zweitens für Ihre Idee begeistern können.
3. Entscheiden Sie sich für eine Strategie.
Wenn Sie anfangen, Ihre Monetarisierungsstrategie zu entwickeln, sollten Sie sich zwei Fragen stellen:
- Wer sollen die Gründer sein?
- In welcher Form wollen Sie Ihre Erfindung monetarisieren?
Können Sie auch Kaufmann?
Als erstes sollten Sie klären, wer zu den Gründern des neuen Unternehmens oder der neuen Business Unit gehören soll. Wenn Sie der Ingenieur oder Wissenschaftler sind, der die Idee entwickelt hat, heißt das: Wollen Sie auch als Unternehmen auftreten? Oder käme eher eine Tandem-Lösung mit einem kaufmännisch orientierten Pendant in Frage?
Die Antwort darauf beeinflusst auch die zweite Frage nach der Form der Monetarisierung:
Innovation oder Verkauf?
Bei der Innovationsstrategie nutzen Sie die Erfindung, die latenten Werte, als Treiber einer Innovation, die alle Bereiche in allen Phasen des Unternehmens berührt: von der Restrukturierung bis zur Wachstumsstrategie.
Bei der Veräußerungsstrategie geht es darum: Wollen Sie die Erfindung verkaufen? Sollen das Patent oder die Marken gewinnbringend bei der Finanzierung und Transaktion des Unternehmens eingebracht werden? Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile, die man nicht pauschal gegeneinander abwägen kann. Auch an diesem Punkt kann man nur sagen: Jede Situation ist anders.
4. Identifizieren Sie die passende Plattform für den Technologietransfer.
Technologietransfer meint nichts anderes, als technologisches Wissen erfolgreich zu verwerten. Die Herausforderung dabei besteht in folgendem Dilemma:
Forschungsergebnisse sollen möglichst schnell und zielführend in neue Geschäftsmodelle transferiert werden, doch ohne Personalressourcen zu binden, die im operativen Geschäft eines bereits existierenden Unternehmens fehlen würden. Grundsätzlich haben Sie drei Optionen, um dieses Dilemma zu lösen:
- die Neugründung eines Start-ups
- die Ausgründung in Form eines Spin-offs bestimmter Bereiche aus einem bestehenden Unternehmen
- den Aufbau einer Business Unit in einem bestehenden Unternehmen
Jede dieser Plattformen hat Vor- und Nachteile, und so hängt vieles von der jeweiligen Situation ab.
1. Das Start-up
Als Neugründung hat ein Start-up noch keine Strukturen und Prozesse, auf die Sie sich verlassen könnten. Dem Team eines Start-ups kommt deshalb eine viel bedeutendere Rolle zu als bei einer Ausgründung oder Einrichtung einer Business Unit. Bei der Zusammenstellung des Teams sollten Sie vor allem auf drei Aspekte achten:
- Der Kompetenzen-Mix. Wichtig ist beim Aufbau des Teams ein Mix aus allen Kompetenzen. Ein stabiles Unternehmen braucht Personen für das General Management, für die kaufmännische Leitung, für Marketing, Vertrieb und so weiter. Sind all diese Kompetenzen gleichermaßen im Team vorhanden?
- Die Persönlichkeiten einzelner Mitarbeitender. Da Start-ups eine kleine Zahl an Mitarbeitenden haben, entfaltet die Persönlichkeit jedes einzelnen eine große Wirkung, im positiven wie im negativen Sinne. Aus dem Grund sollten Sie beim Aufbau eines Teams auf die Persönlichkeitstypen achten. Wie würden diese Personen und Persönlichkeiten in einer Gruppe funktionieren? Würden sie die Gruppendynamik positiv beeinflussen?
- Das Commitment Ihrer Mitstreiter. Bei der Schaffung neuer Strukturen und Abläufe sind Pioniergeist mit Hands-on-Mentalität und Durchhaltevermögen gefragt. Brennen die Mitarbeitenden für die Idee? Oder werden sie bei der ersten Bewährungsprobe das Unternehmen verlassen?
2. Das Spin-off
Wie das Start-up hat auch das Spin-off neue Strukturen und Prozesse zu schaffen. Bei der Zusammenstellung des Teams sollten Sie also die gleichen Aspekte beachten wie beim Start-up, vor allem, was den Pioniergeist und die Hands-on-Mentalität angeht.
Gegenüber dem Start-up kann das Spin-off aber bei der Finanzierung punkten. Hinter einer Ausgründung steht ein etabliertes Unternehmen, was es Investoren erleichtert, Vertrauen in das jeweilige Geschäftsmodell zu fassen. Andererseits entsteht ein Spin-off nicht auf der grünen Wiese, sondern in einem mehr oder weniger komplexen Ausgründungsprozess. Ein Teil dessen wird also die Klärung der Beziehung zur Mutter-Unternehmung ausmachen.
Das betrifft in erster Linie drei Aspekte:
- Der Zugriff auf Dienstleistungen von Abteilungen wie Personalwesen oder Justiziariat. Besteht die Möglichkeit, weiterhin zentrale Dienstleistungen vonseiten des ausgliedernden Unternehmens in Anspruch zu nehmen? Und falls ja, in welcher Form? Falls nicht, sind die Ressourcen für den Aufbau eigener Abteilungen bereitzustellen.
- Juristische Fragestellungen, zumal steuerrechtliche, etwa zu besseren Gewinn- und Verlustkontrollen oder zu Fördermitteln und Steuererleichterungen.
- Das Zugehörigkeitsgefühl von Mitarbeitenden. Wie nehmen es Mitarbeitende der Ausgründung auf, dem ursprünglichen Unternehmen nicht mehr anzugehören?
3. Die Business Unit
Die dritte Kommerzialisierungsplattform ist die in einem etablierten Unternehmen angesiedelte Business Unit. Deren Vorteile liegen auf der Hand:
- der Zugang zu Kapital
- die im Unternehmen vorhandene Expertise
- bereits gereifte Strukturen und Prozesse
Hier besteht die Herausforderung darin, ein passendes Unternehmen zu finden, falls es sich bei der Innovation um ein universitäres Forschungsresultat handelt, die nicht der Forschungs- und Entwicklungsabteilung eines Unternehmens entstammt.
Die Suche nach einem interessierten Unternehmen kann zum einen über die Hochschule laufen. Manche Hochschulen unterhalten Abteilungen, die Forscher bei der Suche und Kontaktaufnahme unterstützen. Zum anderen kann man hierzu mit einem externen Berater ohne Hochschulbindung zusammenarbeiten. Er oder sie hat oft nicht nur ein breiteres Netzwerk als die jeweilige Hochschule. Von Vorteil ist auch der Umstand, dass externe Berater unparteiisch sind. Als Akteure ohne Bindung an eine bestimmte Hochschule ist ihr Blick auf die Vor- und Nachteile einer Zusammenarbeit mit einem bestimmten Unternehmen in der Regel perspektivenreicher.
5. Entwickeln Sie eine detaillierte Go-to-Market-Strategie.
Sie haben:
- die Marktchancen Ihrer Erfindung positiv eingeschätzt,
- sich für eine Monetarisierungsstrategie entscheiden und
- eine Plattform für die Kommerzialisierung auserkoren.
Jetzt geht es um die Entwicklung und Umsetzung der Go-to-Market-Strategie. Dabei sollten Sie folgendermaßen vorgehen:
- Entscheiden Sie, ob Sie Unternehmen (B2B) oder Endverbraucher (B2C) zu Ihrer Zielgruppe machen.
- Analysieren Sie sehr genau die Bedarfe Ihrer Zielgruppe. Ermitteln Sie auch die Preisbereitschaft und die individuelle Preisobergrenze.
- Analysen Sie den Markt und den Wettbewerb. Was können Sie besser als die Konkurrenz? Warum sollten Ihre Kunden bei Ihnen kaufen? Warum jetzt?
- Erstellen Sie einen Business-Plan und eine Markteintrittsstrategie. Wo und wie wollen Sie produzieren? Wann kommt die Vorserie? Haben Sie Pilotkunden?
- Wie planen Sie den Vertrieb. Haben Sie bereits Vertriebspartner?
- Wie sieht der Service aus? Eine Aftersales-Abteilung ist wichtig, um Reklamationen und Qualitätsmanagement zu bedienen, aber auch für die Bestandskundenpflege und den Verkauf weiterer Produkte und Dienstleistungen.
- Launchen Sie Ihr Produkt.
Fazit: Technologietransfer lebt von Markchancen und Ausdauer bei der Umsetzung
Um aus einer technischen Innovation ein Unternehmen mit funktionierendem Geschäftsmodell zu schmieden, kommt es auf Folgendes an:
- Schätzen Sie die Chancen, aus Ihrer Erfindung ein Geschäftsmodell zu entwickeln und dieses tatsächlich umzusetzen, offen und ehrlich ein.
- Seien Sie ausdauernd: Ein erfolgreicher Markteintritt dauert mindestens zwei Jahre.
- Stellen Sie ein Team mit dem richtigen Kompetenzen- und Persönlichkeiten-Mix zusammen. (Und wildern Sie im Falle der Gründung von Spin-offs oder Business Units nicht beim Ursprungsunternehmen.)
- Entwickeln Sie eine detaillierte Go-to-Market-Strategie.
Und schließlich:
- Jede Situation ist anders. Gegen Sie Ihren eigenen Weg!