1. Erkennen Sie die Notwendigkeit von Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement.
Das StaRUG bietet Unternehmen mehr Möglichkeiten als bisher, eine Insolvenz präventiv zu verhindern und eine Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens durchzuführen.
Voraussetzungen für die Anwendung des StaRUG sind unter anderem die Planung und der Aufbau eines Systems zur Krisenfrüherkennung und eines Krisenmanagements. Das StaRUG sieht bereits in § 1 vor, die Geschäftsführung oder das Management habe „fortlaufend über Entwicklungen“ zu wachen, „welche den Fortbestand […] gefährden könnten“. Sollte dabei „solche Entwicklungen“ zu Tage treten, sind „geeignete Gegenmaßnahmen“ zu ergreifen.
Doch Unternehmen beurteilen die Gefahr einer möglichen Krise oft als aktuell irrelevant. Das ist gefährlich, denn gutes Krisenmanagement funktioniert nur, wenn die Verantwortlichen auf allen Ebenen dessen Notwendigkeit erkennen – insbesondere auf der Gesellschafter- und Geschäftsführungsebene. Schließlich verursacht Krisenmanagement erst einmal Kosten, denen keine direkten Einnahmen gegenüberstehen. Darum gilt es, das Bewusstsein für die Erfordernis eines Systems zur Krisenfrüherkennung und eines entsprechenden Krisenmanagements unternehmensweit zu wecken und zu kultivieren. Tatsächlich liegt das Geheimnis eines effektiven Krisenmanagements in erster Linie darin, ein Risikobewusstsein zu entwickeln: Krisen sind Sondersituationen, Krisenmanagement dagegen gehört zum Alltagsgeschäft.
2. Benennen Sie eine Krisenmanagement-Leitung.
Für ein effektives Krisenmanagement braucht es eine Krisenmanagement-Leitung. Diese Person ist insbesondere dafür zuständig, die Risk Assessment Workshops zu moderieren, in denen es darum geht, Risikoanalysen zu erarbeiten. Zudem überwacht und kontrolliert die Leitung die Umsetzung der entsprechenden Gegenmaßnahmen. Um eine gewisse Neutralität zu ermöglichen, sollte die Krisenmanagement-Leitung das Krisenmanagement dem CEO gegenüber direkt verantworten. Ebenso wichtig ist, dass er oder sie die nötigen Freiräume und Ressourcen hat, um effektiv zu arbeiten.
Vor diesem Hintergrund gibt es mehrere Gründe, die für eine externe Krisenmanagement-Leitung sprechen:
- Gerade zu Beginn fehlt häufig oft das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Krisenmanagements – oder sie wird aus menschlichen Gründen verdrängt. Die externe Person, die möglichst viel Erfahrung mit Unternehmenskrisen haben sollte, ist diesbezüglich sensibler und kann den Finger frühzeitig in die Wunde legen.
- Das Risk Assessment zählt zu den unbeliebtesten Themen von Führungskräften oder Mitarbeitenden. Diese bevorzugen häufig das operative Geschäft – auch, weil ihnen oft das Gefühl für die Relevanz der Aufgabe fehlt.
- Die Person erweitert mit ihrem Blick von außen den Horizont.
- Die Krisenmanagement-Leitung ist – zumal bei KMU – kein Vollzeitjob.
3. Führen Sie regelmäßige Risk Assessment Workshops durch.
Für das Risk Assessment haben sich Workshops bewährt, die regelmäßig unter Leitung eines krisenerfahrenen Moderators stattfinden. Ziel ist, das System für die Krisenfrüherkennung aufzubauen und dem Krisenmanagement eine Grundlage zu geben. Hierfür sind auf allen Ebenen des Unternehmens und unter Einbeziehung aller Akteure regelmäßig Risikoanalysen durchzuführen – auf folgenden drei Ebenen:
- Unternehmensebene: Mögliche Risiken sind Stromausfälle, Hacker-Angriffe und Pandemien.
- Projektebene: Mögliche Risiken sind die Vergabe eines Großauftrag und die Umsetzung eines Großprojekts.
- Tagesgeschäftsebene: Mögliches Risiko ist die Ausführung einzelner, möglicherweise gefährlicher Maßnahmen.
Alle Stakeholder persönlich einzubeziehen, ist wichtig – zumal über 70 Prozent aller Krisen ihren Ursprung im menschlichen (Fehl-)Verhalten haben. Krisenmanagement hat daher beim Human Element anzusetzen – auch, wenn die Akteure dies oft als persönlichen Angriff missverstehen. In der Organisation ist darum zunächst eine Kultur der Akzeptanz des Human Elements zu schaffen, was nur Top-down und durch die praktische Umsetzung gelingen kann.
4. Erarbeiten Sie geeignete Gegenmaßnahmen.
Der nächste Schritt besteht darin, die im Risk Assessment identifizierten Risiken beispielsweise nach ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit und ihren möglichen Folgen zu priorisieren. Zudem sind für alle Risiken ab einem bestimmten Schwellenwert passgenaue Gegenmaßnahmen und Prozesse zu definieren, zu terminieren und zu adressieren. Zudem brauchen Unternehmen für alle Risiken und Ereignisse, die schnelles Handeln erfordern, wie etwa eine Cyber-Attacke, einen detaillierten Notfallplan.
Allerdings ist es nicht möglich, alle Risiken im Vorfeld zu identifizieren und proaktiv zu vermeiden. Darum bedeutet Krisenvermeidung auch, alle denkbaren Gefahren in Szenarien zu clustern und für diese Szenarien spezifische Aufgaben und Verantwortlichkeiten festzulegen. Dies dient dazu, vertretbare Barrieren gegen den Eintritt von Risiken, die eine Krise provozieren könnten, aufzubauen. Verhältnismäßigkeit ist hier ganz wichtig. Und natürlich ist die Belegschaft von Beginn an einzubeziehen und mitzunehmen. Um die Wirksamkeit der Gegenmaßnahmen zu erproben und deren Anwendung einzuüben, ist es unabdingbar, regelmäßig unangekündigte Notfallübungen durchzuführen. Die Umsetzung zu kontrollieren, ist Aufgabe der Krisenmanagement-Leitung.
5. Richten Sie neutrale Steuerungsinstrumente ein.
Fast allen Unternehmenskrise gehen 10 bis 1.000 Beinaheunfälle, sogenannte „Near Misses“, voraus. Klug ist, wer in der Lage ist, diese zu erkennen, um dann auf Tendenzen reagieren zu können. Dazu ist es unerlässlich, im Unternehmen eine Kultur zu schaffen, die es gestattet, Fehlentwicklungen offen anzusprechen. Dabei sollte die Geschäftsführung vorleben, dass ein solches Verhalten richtig und wichtig ist. Denn nur unter dieser Voraussetzung entsteht Vertrauen und Handlungsbereitschaft bei den Mitarbeitenden.
Daneben ist es wichtig, vorliegende Daten so zu strukturieren, dass sie Rückschlüsse auf riskante Tendenzen zulassen. Zwei Ebenen des Monitorings sind dabei sinnvoll:
- die Unternehmenssicht mit Fokus auf operative Risiken und
- die Gesellschaftersicht, die sich auf die Umsetzung des Krisenmanagements und strategische KPIs wie die Liquidität konzentriert.
Um die vorliegenden Daten auszuwerten, ist es ratsam, ein einfaches und verständliches KPI-System aufzubauen. Es sollte sowohl Hard Facts wie Zahlungsrückstände, Liquidität, Lieferverzug oder Arbeitsunfälle als auch Soft Facts wie Lieferantenbeurteilungen oder Lageeinschätzungen umfassen. Zudem gilt es, die erzeugten Berichte einschließlich der Definition von erforderlichen Maßnahmen regelmäßig zu besprechen, etwa monats- oder quartalsweise. Nicht zuletzt sollte die Krisenmanagement-Leitung der Geschäftsführung gegenüber direkt verantwortlich sein.
6. Unterbrechen Sie Eskalationsketten frühzeitig und stellen Sie einen Restrukturierungsplan auf.
Führungskräfte tendieren dazu, Krisen und Krisensituationen als eigenes Versagen wahrzunehmen – was dazu führen kann, dass sie das eigentliche Problem leugnen. Doch es ist wichtig, eine Krise klar als solche zu kommunizieren – durch die Geschäftsführung, die Gesellschafter oder die Krisenmanagement-Leitung. Denn erst im Anschluss daran lässt sich ein Krisenstab, dem die wichtigsten Stakeholder angehören und der parallel zum Alltagsgeschäft arbeitet, einberufen. Diese Gruppe sollte sachbezogen sowie kompetenzbasiert zusammengestellt und handlungsfähig sein. Manche Führungskräfte, die in den Krisenstab berufen werden, scheuen sich, das Daily Business im Krisenfall an ihre Stellvertreter oder Mitarbeitenden abzugeben, weil sie befürchten, dass diese den Job gut machen – und die Führungskraft damit überflüssig wird. In solchen Fällen ist Leadership von Seiten der Geschäftsführung gefragt.
Eine zentrale Aufgabe des Krisenstabs besteht darin, einen Restrukturierungsplan nach StaRUG zu erstellen und umzusetzen. Er dient dem Ziel, möglichst frühzeitig, gegebenenfalls mit sehr einschneidenden Maßnahmen, Krisenprozesse und Eskalationsketten zu brechen, bevor sie nicht mehr in den Griff zu bekommen sind. Es ist sehr wichtig, sinnvolle Maßnahmen unverzüglich einzuleiten, um Handlungsspielräume zu erhalten und Folgeschäden zu minimieren – insbesondere mit Blick auf die Sicherung der Liquidität und der Lieferketten.
7. Kontrollieren Sie die Gegenmaßnahmen fortlaufend.
Krisen sind sehr dynamisch. Deshalb sind alle Gegenmaßnahmen regelmäßig einem PDCA-Prozess (Plan – Do -Check – Act) zu unterziehen. Ebenso ist die Zusammensetzung des Krisenstabs hin und wieder zu kontrollieren und bei Bedarf anzupassen. Der geeignete Zeitraum für Kontrollen kann dabei zwischen wenigen Stunden und mehreren Tagen liegen. Um zu verhindern, dass Mitarbeitende die Überprüfung, Kontrolle und Korrektur der Maßnahmen als Angriff auf die handelnden Personen wahrnehmen, ist ein Mindset zu fördern, das notwendige Korrekturen als teaminterne oder menschliche Stärke anerkennt.
8. Organisieren Sie die Krisenkommunikation.
Eine verfehlte Kommunikation kann insbesondere im Krisenfall die Reputation des Unternehmens massiv beschädigen und die Glaubwürdigkeit bei Mitarbeitenden, Lieferanten, Kreditgebern und anderen Stakeholdern zerstören. Darum braucht es eine klare Kommunikationsstrategie, die den Erhalt der Deutungshoheit über die Ereignisse zum Ziel hat. Hierfür ist es wichtig, eine einheitliche, kohärente, transparente und möglichst proaktive Kommunikation zu pflegen. Idealerweise verantwortet eine kompetente Person die Krisenkommunikation. Sie muss das Wording und die Sprachregelungen vorgeben und die vorgesehenen Kommunikatoren dahingehend briefen, dass sie – über strikt geregelte Kommunikationswege – die Öffentlichkeit und andere Interessengruppen proaktiv informieren und ihre Deutung der Ereignisse vermitteln.
9. Debriefing nach der Krise: Lernen Sie aus Fehlern.
Jede erfolgreich bewältigte Krise sollte mit einem Debriefing, mit einem offenen Austausch über die Fehler im Management der Unternehmenskrise und damit einhergehende Verbesserungsmöglichkeiten, enden. Im Alltag geht diese Nachbesprechung oft unter – auch, weil Führungskräfte und Mitarbeitende nach einer Krise wieder ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen möchten. Daher ist es wichtig, den Prozess der Aufarbeitung top-down zu initiieren und zu fördern. Idealerweise veranstaltet die Krisenmanagement-Leitung einen abschließenden Workshop mit allen Stakeholdern, um das Gelernte aufzuarbeiten und weitere Maßnahmen abzuleiten. Natürlich sind Unternehmen angehalten, diese Maßnahmen umzusetzen. Doch nach der Krise ist vor der Krise.